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Fred rief an, um zu sagen, dass sie für eine Firma noch einen Eilauftrag hatten und auf das Transportunternehmen warteten, das ihn abholen wollte.

„Wann wirst du denn zu Hause sein?“, fragte ich.

„Ich ruf dich nachher an. George holt uns ein paar Sandwiches im Subway.“

„Sag ihm, er soll für dich was mit Truthahn nehmen und ganz wenig Mayonnaise. Fettfreie, falls sie haben.“

Schwesterherz, die auf der Bettkante saß, rollte mit den Augen. „Guter Gott, Patricia Anne“, sagte sie, als ich auflegte. „Sag ihm, er soll für dich was mit Truthahn holen“, äffte sie meine Stimme nach.

„Halt die Klappe.“

„Und ganz wenig Mayonnaise. Fettfreie.“

Ich warf mit einer Haarbürste nach ihr. Sie duckte sich, und ich traf die Wand.

„Schau dir das an“, sagte sie, „du hast den Putz zerschlagen.“

„Habe ich nicht.“ Ich hatte meine Brille abgesetzt, um die Blusen anzuprobieren. „Oder doch?“

„Nur ein bisschen. Probier die salbeifarbene Bluse als Erstes.“

„Zu teuer“, murmelte ich, hatte sie aber schon in der Hand.

Schwesterherz streckte sich auf dem Bett aus. „Was gibt's bei dir heute zum Abendessen?“

 

„Geflügelsalat. Du kannst bleiben.“ Ich zog die Bluse über meinen Kopf. „Die muss gereinigt werden. Ich hasse es, in Reinigungen ein Vermögen auszugeben.“

„Schwitz einfach nicht.“

„Hallo? Sind Sie da?“, war Georgianas Stimme aus dem Flur zu vernehmen.

„Wir sind im Schlafzimmer“, rief Schwesterherz.

Georgiana stand in der Türöffnung, plötzlich so grün wie meine Bluse.

„Das Badezimmer ist gleich hier“, wies ich ihr schnell den Weg.

Georgiana verschwand mit gekrümmten Schultern.

„Du solltest diesen Black Jack besser bewachen“, sagte Schwesterherz.

„Sie hat einen Virus.“

„Ich hoffe, sie verbreitet ihn nicht überall.“ Sie beäugte die Bluse. „Die sieht gut aus. Mir gefällt, wie sie vorne fällt. Macht dir glatt einen ordentlichen Busen. Lass sehen, wie es mit der Jacke aussieht.“

Ich erfüllte ihren Wunsch.

„Probier jetzt die andere an.“

Als Georgiana aus dem Badezimmer gewankt kam, hatte ich mich entschieden, beide Blusen zu behalten. Eine würde ein Muttertagsgeschenk sein, und die andere wäre dafür, dass ich mich um Bubba kümmerte, wenn Schwesterherz im kommenden Monat zu irgend so einer Aktionärsversammlung nach Las Vegas fahren würde, wie ich Schwesterherz informierte.

„Ich weiß nicht, warum du es nicht nennen kannst, was es ist- Mildtätigkeit“, sagte sie.

Ich kniff meine Schwester in den Fuß. Fest. Sie jaulte.

„Haben Sie beide eine Meinungsverschiedenheit?“ Georgiana stand erneut in der Türöffnung.

 

„Nein“, sagten wir wie aus einem Mund.

„Geht es Ihnen besser?“, fragte ich.

„Ein wenig. Ich mache mich aber vielleicht doch besser schnell auf den Heimweg. Es tut mir leid, dass ich Sie behelligt habe, aber ich kann Ihnen gar nicht sagen, was diese Stimme in mir ausgelöst hat.“

„Mir ist das auch in die Knochen gefahren“, sagte ich.

„Ein Dummejungenstreich“, sagte Mary Alice, während sie aufstand und ihr Gewicht vorsichtig auf den Fuß stellte, in den ich gekniffen hatte. „Sie sollten einfach nach Hause gehen, Pepto-Bismol nehmen und die Nacht über ordentlich schlafen.“

„Vermutlich.“

„Soll eine von uns Sie fahren?“, fragte ich.

„Ich schaffe das schon.“

Ich holte Georgianas Handtasche aus dem Wohnzimmer, und Mary Alice und ich begleiteten sie noch bis zur Haustür. „Ich habe eine von Ihren Angestellten unterrichtet“, sagte ich ihr, „Cassie Murphy. Ich habe sie gestern in der Samford-Bibliothek getroffen, und heute auch.“

„Sie ist eine ausgezeichnete Genealogin. Ich bin froh, sie zu haben.“ Georgiana fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Sie musste in den letzten Tagen die doppelte Arbeit leisten — erst war ich weg, und dann ging's mir nicht gut. Und meine andere Hilfe, Heidi Williams, musste plötzlich wegen eines familiären Notfalls fort. Normalerweise war genau dies die Situation, in der ich mich an Meg gewandt hätte.“ Tränen stiegen in Georgianas Augen.

„Morgen werden Sie sich besser fühlen“, sagte ich. „Holen Sie sich eine ordentliche Mütze Schlaf heute Nacht.“

„Ja, danke.“ Georgiana lief den Weg hinunter.

„Und wenn Pepto-Bismol nicht hilft, versuchen Sie es mit Emerol“, rief Schwesterherz.

 

Georgiana winkte zu uns zurück.

„Meinst du, sie kommt klar?“, fragte ich beunruhigt.

„Natürlich

Doch Georgianas Gang zu ihrem Auto war nicht geradlinig genug, um mich zufriedenzustellen. „Ich fahr sie“, sagte ich. „Und du folgst uns.“ Ich rief Georgianas Namen und rannte ihr hinterher.

Es war nicht weit bis zu ihrer Wohnung, aber ich war froh, dass ich mich entschlossen hatte, sie zu chauffieren. Sie saß zitternd auf dem Beifahrersitz, und ich fragte sie ein weiteres Mal, ob sie nicht einen Arzt aufsuchen wolle.

„Nein“, sagte sie bestimmt. „Das ist nur so ein Kurzinfekt. Außerdem hätte ich mehr Verstand haben und nicht mit angeschlagenem Magen Bourbon trinken sollen.“

„Ich hätte ihn Ihnen nicht geben dürfen.“ Schuldbekenntnisse über Schuldbekenntnisse.

Georgiana wohnte in einem neuen Viertel in der Nähe der Universität, das aus bezaubernden aneinandergereihten Stadthäusern bestand, die im ersten Stock Büros und Geschäfte und darüber die Wohnungen der Hausbesitzer beherbergten. Eine alte Idee, die so praktisch war, dass sie einfach ein Comeback feiern musste.

„Ich habe diese Wohnungen schon immer bewundert“, rief ich aus.

„Es ist wundervoll. Ich gehe die Treppe hinunter und bin an meinem Arbeitsplatz. Die Universitätsbibliothek ist nicht weit, und ich kann in die Straßenbahn hüpfen, um in die Stadtbibliothek im Zentrum zu gelangen.“ Sie dirigierte mich zu dem breiten Verbindungsweg, an dem jedes dieser Stadthäuser Parkplätze besaß. Mary Alice stellte ihr Auto hinter uns ab.

„Ich kann Ihnen gar nicht genug danken“, sagte Georgiana .

 

„Keinerlei Ursache.“ Ich reichte ihr die Schlüssel. „Ich erkundige mich nachher nach Ihnen.“

„Ich denke, sie sollte zum Arzt gehen“, sagte ich Mary Alice, als ich in ihr Auto stieg.

„Soll ich dir dabei helfen, sie zu fesseln und in die Notaufnahme der Uniklinik zu schleifen?“

„Halt den Mund. Ich finde diese Wohnungen toll, und du? So direkt über den Geschäften?“

Mary Alice nickte. „Wirklich hübsch.“

„Ich habe schon überlegt, selbst irgendein kleines Unternehmen zu gründen.“

„Was für eins?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ein Nachhilfestudio oder ein Redaktionsbüro. Keine Ahnung. Irgendwie fühle ich mich nach dreißigjähriger Berufstätigkeit ein wenig verloren.“

„Du solltest noch mehr ehrenamtliche Dinge tun und Kurse besuchen.“

„Wahrscheinlich.“

Wir schwiegen beide, während wir über den Berg an Vul-canus vorbeifuhren. Ich dachte an Haley und Philip Nach-man. Was sie wohl auf den Disketten gefunden hatten? Ich dachte auch an Debbie und Henry und ihre Märchenhochzeit. Und an Reiher-Luke, dem ich eine kurze Mitteilung schicken wollte, dass ich mich gefreut hatte, ihn zu sehen. Familie war schließlich Familie.

„Was machen die Zwillinge?“, fragte ich Schwesterherz. „Vermissen sie Debbie?“

„Es geht ihnen gut. Ich mache auf liebe Oma und gehe jeden Tag rüber zu ihnen, um mit ihnen zu spielen, damit Richardena auch mal eine Pause machen kann. Heute hat Fay May mit einem dieser Holzspielzeuge zum Hinterherziehen eins übergebraten, so dass sie eine Beule am Kopf

 

hatte. Sie bekam eine >Strafzeit< verordnet. Kaum, dass sie wieder zurück im Spiel war, hat May sie zurückgeschlagen. Jedenfalls sahen sie am Ende wieder gleich aus.“

„Hast du ihnen nicht erklärt, dass Schwestern sich nicht streiten?“

„Natürlich habe ich das“, sagte Mary Alice tatsächlich in vollem Ernst.

Wir bogen in meine Straße ein, wo der Hartriegel weiß aus den Gärten leuchtete.

„Weißt du, was ich denke?“, fragte Schwesterherz.

„Was?“ Ich genoss den friedlichen Anblick, die zeitige Früh Jahrsdämmerung.

„Ich glaube, es war wirklich Megs Stimme am Telefone“ Ich sagte nichts. Manchmal lösen sich, wenn ich ruhig bleibe, die Worte, die Schwesterherz in den Raum geschleudert hat, in Luft auf.

Diesmal war das jedoch nicht der Fall.

„Hast du mich gehört, Maus?“

„Leider ja.“

Mary Alice fuhr in meine Einfahrt und hielt an.

„Und, was denkst du?“

„Ich denke, dass du den Verstand verloren hast. Du hast den ganzen Nachmittag darauf beharrt, dass hier jemand einen üblen Streich gespielt hat.“

„Na ja, ich wollte Georgiana nicht aufregen. Abgesehen davon habe ich nachgedacht.“ Mary Alice öffnete ihre Tür. „Komm, lass uns den Geflügelsalat essen. Ich muss um acht zu einer Museumssitzung.“

Ich folgte ihr, so wie ich es seit sechzig Jahren tat, und sagte: „Warte mal einen Moment. Was erzählst du da?“

Wir gingen in die Küche. Schwesterherz warf ihre schwere Tasche auf einen Stuhl, zog sich einen anderen heran und setzte sich.

 

„Ich erzähl dir, was ich denke, während du das Abendessen machst.“

„Okay. Das will ich hören.“

„Meg Bryan lebt noch.“

Ich wusch mir die Hände und trocknete sie an einem Stück Küchenrolle ab. „Und wer ist dann vor dem Gerichtsgebäude gestorben?“

„Eine Obdachlose. Jemand, von der der Mörder wusste, dass niemand sie vermissen würde.“

„Aha.“ Ich holte das Huhn und den Sellerie aus dem Kühlschrank. „Und wie kommt es dann, dass der Richter sie identifiziert hat?“

„Sie ist zehn Stockwerke hinuntergefallen, oder?“

„Mit Megs Kleidern am Leib und ihrer Handtasche?“

„Die die obdachlose Frau ihr gestohlen hat.“

„Was der Mörder zufällig im Vorbeigehen mitbekommen hat. Ich meine diesen Kleider- und Taschenraub.“

„Ja, und dann hat er Meg entführt.“

Ich zerkleinerte den Sellerie. „Und warum?“

„Um an Megs Genealogie-Programm zu kommen, das er dann für einen Haufen Geld an Bill Gacy und Microsoft verkauft.“

„Gates, Schwesterherz. Bill Gates. Gacy war der Serienmörder.“

„Gates. Dieser nette junge Mann, der so reizend zu seiner Mutter war. Himmel, Patricia Anne, du weißt, wen ich gemeint habe.“

Ich fügte die Mayonnaise und eine Prise italienische Gewürzmischung hinzu. „Und wohin hat der Mörder sie verschleppt?“

„Du kennst doch diese Höhlen unterhalb vom Vulcanus? Die Polizei hat sie abgesperrt, um Jugendliche und Drogendealer von ihnen fernzuhalten, aber nach dem, was ich im

 

Fernsehen gesehen habe, sind sie nach wie vor leicht zugänglich. Man kann dort wunderbar jemanden verstecken, und ich wette, dass er sie dahin gebracht hat.“

„Gibt es Telefon in diesen Höhlen?“

Mary Alice dachte einen Moment lang nach. „Der Kidnapper hatte ein Handy dabei, das Meg in die Finger bekommen hat. Er hat sich schlafen gelegt, und sie hat sich an ihn herangeschlichen und es sich geschnappt.“

„Du bist gut, weißt du das?“

Mary Alice strahlte.

Ich stellte den Geflügelsalat auf den Tisch. „Und du hast dich an der Uni in den Kurs >Wie schreibe ich einen Roman?' eingetragen.“

„Hat Debbie dir das erzählt?“

„Das war gar nicht nötig.“ Ich holte Teller und Gabeln und stellte eine Packung Cracker auf den Tisch.

„Weißt du“, sagte ich, während ich mir einen Stuhl nahm und mich setzte, „in deiner Geschichte gibt es ein großes Problem. Wenn sie sagt, wo das Programm ist, ist sie tot. Wenn sie es nicht sagt, ebenfalls.“

Mary Alice tat sich einen großen Löffel Salat auf. „Nun ja“, sagte sie. „man kann nicht immer Glück haben.“

Das Telefon klingelte, bevor ich noch den ersten Bissen genommen hatte. Es war Haley, die mir erzählte, dass sie sämtliche Word-Perfect-Dateien ausgedruckt habe - alles Briefe -, Philip aber noch keine Gelegenheit gehabt habe, sich mit dem Genealogie-Programm zu befassen.

„Hast du irgendwas Interessantes entdeckt?“, fragte ich.

„Du meine Güte, nein. Das sind alles Briefe an genealogische Gesellschaften.“ Haley machte eine Pause. „Der eine hier oben auf dem Stapel ist an einen Verlag für historische Bücher adressiert, und es geht darin um eine Katalogbestellung. Der nächste richtet sich an eine Organisation namens

 

>Heritage Quest<, bei der sie Mitglied werden will. Solche Dinge. Soll ich sie dir rüberbringen? Philip und ich gehen ins Kino, und ich könnte schnell bei dir vorbeifahren.“

„Prima. Was seht ihr euch denn an?“

„Keine Ahnung.“ Sie kicherte.

„Mein Kind ist ganz närrisch vor Liebe“, sagte ich Mary Alice, als ich auflegte.

„Nun, wenn man schon närrisch wird, dann ist das noch die beste Art.“

„Das denke ich auch.“ Ich setzte mich, nahm meinen ersten Happen Geflügelsalat und kaute gedankenvoll. „Es wird ihr gut gehen, oder? Mit Philip? Toms Tod hat sie fast umgebracht.“

„Es wird ihr gut gehen.“ Mary Alice griff nach dem Löffel und tat sich ein zweites Mal Salat auf. „Mein Philip war der freundlichste, sanfteste Mann auf der Welt. Selbst im Bett hat er gesagt: >Canz sanft, Mary Alice, ganz sanft.< Ich bin sicher, dass Philip der Zweite genauso ist.“

„Danke für den wertvollen Einblick“, sagte ich.

„Gern geschehen.“

Wie bereits bemerkt, Sarkasmus ist an meine Schwester völlig verschwendet.

„Sie sind langweilig“, sagte Haley, als sie mir den großen braunen Umschlag aushändigte. „Ich habe sie nur überflogen und bin fast dabei eingeschlafen.“

„Danke. Weißt du mittlerweile, in was für einen Film ihr geht?“

„Wir haben uns entschlossen, einen auszuleihen. Philip hat eine Schwäche für alte Filme.“

Verständlicherweise. Er war ja mit ihnen wohlvertraut. „Viel Spaß euch beiden“ war aber alles, was ich sagte.

Ich nahm den Briefumschlag mit ins Wohnzimmer und

 

ließ mich zu einer gemütlichen Lektüre auf dem Sofa nieder. Der erste Brief, der das Datum vom t>. Oktober des vergangenen Jahres trug, war eine Bestellung von Band 9 der >Irischen Kirchenregister'. Okay, dachte ich und ging zum nächsten über, in dem es um eine weihnachtliche Forschungstour in die Bibliothek der genealogischen Gesellschaft von Salt Lake City ging. Im nächsten wurde um die Zusendung einer Liste mit unlesbaren Grabsteinen im Coweta County in Georgia ersucht, was ich rätselhaft fand. Wenn man sie nicht lesen konnte, wie konnte man sie dann auflisten? War Megda hinter irgendeinem Betrug her gewesen? Ich legte den Brief zur Seite und fuhr fort.

Da war ein an eine Frau in Ohio gerichteter Brief, der sich mit einem auf dem Friedhof von Point Clear, Alabama, beerdigten Vorfahren befasste, und einer, in dem nach der Schreibweise eines deutschen Namens gefragt wurde. Meine Augenlider wurden schwerer und schwerer.

Das Telefon ließ mich aus dem Schlaf schrecken. Ich blickte auf die Uhr. Es war neun —es musste also Fred sein.

Er war es aber nicht. „Patricia Anne?“ Die unverwechselbare Stimme von Trinity Buckalew.

„Hallo, Trinity.“

„Patricia Anne, Georgiana Peach ist schwer krank. Ich habe Angst, dass sie stirbt.-

„Was?“ Ich war noch halb im Schlaf. „Georgiana ? Sie war heute Nachmittag hier. Wir haben sie nach Hause gebracht.“

„Sie ist schwer krank, und ich habe Angst, dass sie stirbt“, wiederholte Trinity und gab mir so die Gelegenheit, wach zu werden.

„Wie kommen Sie darauf? Und wo sind Sie?“

„Ich bin in Fairhope, von wo aus ich Georgiana vorhin angerufen habe, um ihr von den Plänen für Megs Abschieds-

 

party zu erzählen, und da sagte sie: >Trinity, ich kann nicht reden. Ich bin so krank, ich denke, dass ich sterben Ich sagte ihr, sie solle den Notruf wählen, woraufhin sie erwiderte, dass sie das schon getan habe.“

Ich war jetzt hellwach. „Sie hat den Notruf gewählt? Soll ich mich mit irgendjemandem in Verbindung setzen?“

„Sie hat eine Schwester, und ich habe versucht, sie anzurufen - aber da meldet sich niemand. Ich hoffe, sie ist bei ihr.“

„Ich finde heraus, was los ist, und rufe Sie zurück. In Ordnung?“ Ich notierte Trinitys Nummer am Rand des Briefes, den ich gelesen hatte, bevor ich weggenickt war.

Verdammt. Ich versuchte zu überlegen, was jetzt zu tun war. Von da, wo Georgiana wohnte, brachte man sie im Notfall wahrscheinlich in die Uniklinik. Ich schlug die Nummer nach und fragte, ob sie dort eine Georgiana Peach hätten. Zu meinem Erstaunen legte die Frau, die abgenommen hatte, auf. Als ich die Nummer ein zweites Mal wählte, war mir das Problem klar.

„Da ist eine Frau“, sagte ich, „mit Namen Georgiana Peach. Sie hat den Notruf gewählt und ist vielleicht bereits auf dem Weg in Ihre Notaufnahme. Haben Sie irgendeine Möglichkeit, das nachzuprüfen?“

„Nicht, bevor sie hier ist. Ihr Name ist Georgiana Peach?“

„Richtig. Georgiana Peach.“

„Was sagt man dazu!“

„Ich rufe später noch mal an“, sagte ich.

Es bestand die entfernte Chance, dass die Rettungssanitäter noch bei Georgiana zu Hause waren oder dass es ihr doch nicht so schlecht ging und dass man sie nicht ins Krankenhaus gefahren hatte. Ich fand ihre Nummer und wählte sie. Es klingelte ein paar Mal, dann machte es klick

 

und ein anderes Läuten war zu hören. „Sie haben die Nummer des „Stammbaums“ gewählt“, war Georgianas Stimme zu vernehmen. „Wir können Ihren Anruf im Moment leider nicht entgegennehmen, aber wenn Sie uns eine Nachricht hinterlassen, rufen wir Sie gern so schnell wie möglich zurück.“

„Verdammte Mistdinger“, murmelte ich.

„Was ist los?“ Fred stand in der Küchentür. Er wirkte müde, aber beschwingt.

„Ich hasse Anrufbeantworter.“

Fred sank in seinen Lehnstuhl. „Wir haben heute Abend die Ausgaben eines ganzen Monats in zwei Stunden eingespiclt. -

„Das ist großartig. Hattest du Zeit, was zu essen?“

„Truthahn, wie du gesagt hast.“

„Möchtest du noch was?“

„Vielleicht. Wenn ich mich etwas entspannt habe.“ Er deutete auf das Telefon. „Wen wolltest du denn anrufen?“

Ich erzählte ihm von Trinitys Anruf und Georgianas Krankheit. „Ich bin sicher, dass sie sie ins Universitätskrankenhaus bringen, aber da ist sie noch nicht. Trinity sagt, sie hat eine Schwester, aber die geht nicht ans Telefon.“

„Vielleicht ist sie ja dann bei Georgiana.“ Fred stand auf und streckte sich. „Ich geh duschen.“ Er machte ein paar Schritte in den Flur, steckte dann aber noch einmal den Kopf durch die Tür. „Mach dir um die Dame keine Sorgen, Schatz. Sie kommt wieder auf die Beine.“

Ein paar gute Tage in seinem Job, und er hatte eine Antwort auf alles.

Ich wartete ein paar Minuten, bevor ich noch einmal die Notaufnahme der Uniklinik anrief. Diesmal sagte die Frau, dass Ms. Peach soeben eingeliefert worden sei.

„Ist irgendjemand bei ihr? Ihre Schwester?“

 

„Einen Moment.“ Sie drehte sich vom Telefon weg. „Deliah! Ist jemand bei Ms. Peach?“

Ich konnte Deliahs Frage nicht hören, aber offenkundig hatte sie „Wer?“ gelautet.

„Ms. Peach. Die Frau, die gerade gebracht wurde!“ Wieder zurück am Telefon sagte sie: „Nein. Bis jetzt nicht.“

„Danke.“ Georgianas Stimme auf dem Anrufbeantworter hatte mich auf eine Idee gebracht. Ich griff nach meiner Handtasche und zog die Visitenkarte hervor, die Castine Murphy mir am Vortag gegeben hatte und auf der ihre Telefonnummer verzeichnet war. Da sie für Georgiana arbeitete, wusste sie bestimmt etwas über die Schwester oder sonst jemanden, den man benachrichtigen müsste.

Ich hatte Glück. Kein Anrufbeantworter. Nur Cassies klare Stimme, die „Hallo“ sagte.

„Cassie“, antwortete ich, „hier ist Patricia Anne Hollowell. Haben Sic in der letzten Stunde oder so mit Georgiana gesprochen?“

„Heute Nachmittag, Mrs. Hollowell. Warum? Ist was nicht in Ordnung?“

„Sie ist unten in der Notaufnahme der Uniklinik. Trinity Buckalew hat sie angerufen, und Georgiana sagte, es gehe ihr so schlecht, dass sie den Notruf gewählt hat.“

„Georgiana ist so krank, dass sie den Notruf gewählt hat?“

„Ja, und sie haben sie in die Uniklinik gebracht. Mehr weiß ich nicht. Nur dass niemand bei ihr ist. Wissen Sie jemanden, den ich anrufen sollte?“

„Mein Gott, ich kann das gar nicht glauben. Warten Sie, lassen Sie mich einen Moment nachdenken.“

„Trinity sagte, sie hat eine Schwester.“

„Das stimmt. Ihr Name ist Martha Matthews. Aber sie wohnt oben am Logan-Martin-See.“ Cassie schwieg einen

 

Augenblick lang. „Sie hat Freunde aus der früheren Nachbarschaft, mit denen sie noch immer eng verbunden ist, aber mir fallen keine Namen ein.“ Es war ein weiteres Mal still. „Hatte sie wohl einen Herzinfarkt?“

„Keine Ahnung.“

„Ich finde, man sollte sie da nicht so ganz allein lassen. Ich lauf mal runter und schau, was los ist. Einverstanden?“

„Wunderbar. Rufen Sie mich an?“

„Sobald ich irgendwas weiß.“

Fred kam ins Wohnzimmer, als ich den Hörer auflegte. Er trug seinen heißgeliebten blauen Seidenpyjama, und sein Haar war nass und nach hinten geklatscht. Ich hatte ihm vor ein paar Jahren den Pyjama zusammen mit Satinbettwäsche zu Weihnachten geschenkt. Es schien mir damals eine gute Idee, sehr sexy und mit Garantie geeignet, das alte Feuer auflodern zu lassen. Aber nein. Fred war nämlich, als er ins Bett schlüpfte, auf der anderen Seite gleich wieder rausgerutscht, und die Satinbettwäsche war hinten im Wäscheschrank gelandet.

„Telefonierst du immer noch?“

Ich erklärte ihm die Sache mit Cassie Murphy und dass sie bei Georgiana arbeitete und nach ihr sehen wollte. „Eine alte Schülerin von mir“, fügte ich hinzu.

„Manchmal glaube ich, ganz Birmingham hat bei dir Unterricht gehabt.“

„Bist du grantig? Hundertvierzig Schüler im Jahr, und das dreißig Jahre lang-das ist eine ganze Menge.“

„Tut mir leid. Habe ich grantig geklungen? Ich bin bloß müde.“

„Hol dir ein Glas Milch.“ Viertausendzweihundert Kids. Die meisten hatte ich gemocht, und die meisten waren auch gut geraten.

Fred schlurfte in die Küche. Er hatte es nie gelernt,

 

in diesen Hausschlappen zu gehen. „Möchtest du auch Milch?“

„Nein.“ Das Telefon klingelte erneut. Trinity. Ich erzählte ihr, dass Georgiana in der Uniklinik lag und Castine Murphy nach ihr schauen wollte. „Ich ruf Sie an, sobald ich was weiß. Versprochen.“

Fred ließ sich mit der Abendzeitung in seinem Lehnstuhl nieder und schlief prompt ein. Ich versuchte noch ein paar Briefe aus Megs Computer zu lesen. Haley hatte recht. Sie waren langweilig. Ich packte sie in den Umschlag zurück und nahm einen Roman zur Hand, hatte aber Mühe, mich zu konzentrieren.

Um halb zwölf rief Cassie an. Georgiana hatte einen Magendurchbruch und würde umgehend operiert werden.

„Es ist nicht nötig, dass Sie kommen“, sagte sie auf mein entsprechendes Angebot hin. „Sie können hier nichts tun, außer da sitzen und sich Sorgen machen.“

„Ich könnte Ihnen Gesellschaft leisten.“

„Ich komm prima zurecht.“

„Haben Sie ihre Schwester erwischt?“

„Ich habe es versucht, aber es ist niemand rangegangen.“

Ich schwieg einen Moment, bevor ich fragte: „Wie krank ist sie?“

„Sehr krank.“

„Rufen Sie mich an, wenn Sie mich brauchen.“

„Mach ich.“

Fred war wach und hörte mir zu. „Es geht ihr schlecht?“

„Sie machen sie zur Operation fertig. Ein durchgebrochenes Magengeschwür.“ Das ich auch noch mit Bourbon behandelt hatte!

„Würdest du dich besser fühlen, wenn du hinfahren würdest? Ich kann dich bringen.“

„Da ist nichts, was ich tun könnte.“

 

Aber später, nachdem ich Trinity angerufen hatte, ins Bett gegangen war und Fred in den Schlaf hatte sinken hören, lag ich wach und dachte an Georgiana , das kleine Vögelchen mit den wachen Augen, denen nichts entging. Ich dachte an ihren Bruder, George Peach, und die Geschichte mit den Moon Pies. Und dann streckte ich den Arm aus und streichelte den Saum von Freds Seidenpyjama wie ein Kind seine Kuscheldecke.

Irgendwo unten an der Straße bellte ein Hund den Mond an. Ein zweiter fiel in das Gebell ein, und dann hörte ich unseren Woofer. Er sang in die Nacht hinein, wie er es getan hatte, als er jung war.

„Guter Hund“, sagte ich. Ich wusste, dass ich eigentlich aufstehen sollte, um ihn zu beruhigen. Morgen würde ich mich bei Mitzi und den anderen Nachbarn für die gestörte Nachtruhe entschuldigen müssen. „Guter Hund.“